Redebeitrag: Grundwerte der Europäischen Union achten und schützen – Für wirksamere Maßnahmen gegen Verstöße

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,

mit großer Sorge blickt man in Deutschland und anderen europäischen Staaten dieser Tage auf Polen. Unser Nachbarland wird von der rechtsnationalen PiS-Partei regiert, die homo- und intersexuelle Menschen diskriminiert und bedroht. Maßnahmen wie die Ausrufung von LGBT-ideologiefreien Zonen oder die Festnahme von rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer LGBT-Demo im vergangenen Monat treten die Grundwerte der Europäischen Union mit Füßen und dürfen von uns nicht unbeantwortet bleiben.

Leider ist Polen kein Einzelfall. In Ungarn unter Viktor Orbán und in weiteren EU-Mitgliedsländern wird gegen europäische Grundwerte wie die Pressefreiheit oder eine unabhängige Justiz verstoßen. Deswegen wollen wir heute unseren Entschließungsantrag „Grundwerte der Europäischen Union achten und schützen – Für wirksamere Maßnahmen gegen Verstöße“ zur ersten Beratung einbringen.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn wir die Bürgerinnen und Bürger für Europa begeistern wollen, müssen wir unsere Europäischen Werte leben und verteidigen. Verstöße müssen Folgen haben, denn die große Idee der Europäischen Gemeinschaft kann nur überleben, wenn wir uns alle unter dem Dach der europäischen Werte versammeln und bei Verstößen ein Verfahren finden, diese zu ahnden.

Der eine oder die andere unter Ihnen wird sich vielleicht fragen: Regelt nicht Artikel 7 im Vertrag über die Europäische Union (EUV) den Schutz von Grundwerten?

 

Nach Artikel 7 kann der Rat der EU im Falle einer schwerwiegenden Verletzung der Werte mit Zustimmung des EU-Parlamentes Empfehlungen an den betroffenen Mitgliedsstaat richten, ihn zu einer Stellungnahme auffordern und dann einstimmig feststellen, dass eine eindeutige Gefahr vorliegt. Stellt auch der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs eine schwerwiegende Verletzung fest, können dem Mitgliedsland zuletzt unionsvertragliche Rechte entzogen werden.

Jean-Claude Juncker, der ehemalige EU-Kommissionspräsident und luxemburgische Premierminister, hat das Artikel-7-Verfahren vor kurzem in einem Interview als „zahnlosen Tiger“ bezeichnet. Die Kritik dieses leidenschaftlichen Europäers ist berechtigt, denn es gilt im Europäischen Rat das Einstimmigkeitsprinzip.

Das heißt, betroffene Länder wie Polen oder Ungarn können das Verfahren einfach mit ihrer Stimme blockieren.

 

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,

es braucht hier neue Lösungsansätze auf europäischer Ebene, die nicht wirkungslos verpuffen. Wir fordern, dass ab dem nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen EU-Mittel, wie beispielsweise aus dem Kohäsionsfonds, in bedeutendem Umfang einbehalten werden können, sofern in einem Mitgliedstaat eine schwerwiegende Verletzung der Grundwerte nicht in Frage gestellt wird. Hierfür muss ein Abstimmungsverfahren eingeführt werden, mit welchem eine Blockade im Europäischen Rat durch eine Minderheit verhindert wird.

Gerade, wenn man mit jungen Menschen spricht, stellt man fest, dass für Sie die Europäische Union viel mehr ist als eine Wirtschaftsgemeinschaft.  Sie wird als Friedensprojekt wahrgenommen, das auf der Achtung der Menschenrechte und gemeinsame Grundwerte baut. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Religion oder der sexuellen Orientierung hat in der EU keinen Platz.

Die Entscheidung der EU-Kommission, polnischen Kommunen, die gegen die LGBTI-Community Stimmung machen, Fördergelder für Städtepartnerschaften zu streichen, begrüße ich ausdrücklich. Dass Zbigniew Ziobro, der polnische Justizminister und Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei Solidarna Polska, dem südpolnischen Tuchow, einer Anti-LGBT-Stadt, Haushaltsmittel zur Verfügung stellt, um die gestrichenen EU-Fördergelder zu kompensieren, macht mich fassungslos.

Ich frage Herrn Ziobro: Wie können Sie als Justizminister guten Gewissens Homophobie belohnen? Ein Justizminister hat die Aufgabe, für Gerechtigkeit einzutreten und nicht Ungerechtigkeit zu fördern.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

dieser und viele weitere Fällen zeigen uns, dass ein unabhängiges Expertengremium, bestehend aus jeweils einer geeigneten Persönlichkeit eines jeden Mitgliedstaates, eingesetzt werden muss, dessen Aufgabe die kontinuierliche Evaluierung der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten der EU ist.

Es ist mir wichtig zu betonen, dass es uns nicht darum geht, Polen oder einen anderen europäischen Nachbarn an den Pranger zu stellen. Wir sind froh, dass zwischen Polen und Deutschen nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs ein Austausch entstanden ist, der von Freundschaft und gegenseitigem Respekt geprägt ist.

Ich denke da insbesondere an die „Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit zwischen der Woiwodschaft Niederschlesien und dem Land Niedersachsen“ und die „Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit zwischen der Woiwodschaft Großpolen und dem Land Niedersachsen“, zwei Partnerschaften mit polnischen Verwaltungsbezirken.

Sollte es zu einer substanziellen und nachhaltigen Missachtung der EU-Grundwerte in einer niedersächsischen Partnerregion kommen, erwarten wir allerdings von unserer Landesregierung, dies im Dialog mit den Partnern zu thematisieren.

Als Kriterium für künftige regionale Kooperationen des Landes Niedersachsen sollte die Einhaltung der EU-Grundwerte aufgenommen werden.

Neben den bereits genannten Punkten bitten  die Koalitionsfraktionen der CDU und SPD die Landesregierung,  im Europäischen Ausschuss der Regionen die Bedeutung der europäischen Prinzipien zu betonen und für ein vehementes Vorgehen gegen Demokratie- und Rechtsstaatsverstöße zu werben. Vor dem Hintergrund der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bitten wir die Regierung, sich gegenüber dem Bund für das Thema Rechtsstaatlichkeit als eines der Schwerpunktthemen in der Präsidentschaft stark zu machen.

 

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,

ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss.