Am 7. Mai kommen die EU-Institutionen und -Mitgliedstaaten zum Sozialgipfel in Porto zusammen und beraten über die konkrete Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte. Dieses Treffen ist das Herzstück der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft und fügt sich dabei nahtlos in das Motto „Zeit zu liefern: für einen fairen, nachhaltigen und digitalen Wiederaufbau“ ein. An dieser Stelle ist wichtig zu betonen, dass man sich bereits 2017 beim vorausgegangenen Gipfel in Göteborg auf die sozialpolitischen Leitlinien in Form der Europäischen Säule sozialer Rechte geeinigt hat. Von Göteborg bis nach Porto sind wir also nicht nur geografisch und zeitlich – sondern vor allem auch in der Sache – weit gekommen. Jetzt wird es darum gehen die letzten Meter mit allen Beteiligten bis zum Ziel zu laufen und die europäische Sozialpolitik zu einem Etappensieg zu führen.
„Zeit zu liefern“
„Zeit zu liefern“ als zentraler Ausruf dieser Ratspräsidentschaft drückt also aus, dass die Zeit gekommen ist, vom guten Willen in der europäischen Sozialpolitik zu verbindlichen Mindeststandards überzugehen, die das tägliche Leben der Menschen in der EU verbessern werden. Ich bin davon überzeugt, dass der Sozialgipfel in Porto die Chance für uns bereithält, den ambitionierten Aktionsplan der Kommission aufs Gleis zu setzen und damit eine faire sowie nachhaltige Zukunft zu erreichen. Mir ist dabei bewusst, dass eine Ratspräsidentschaft allein nicht dafür ausreicht, die großen Fragen unserer Zeit abschließend beantworten zu können. Sie kann aber sehr wohl eine Richtung vorgeben und eigene Akzente setzen, sodass es entscheidend darauf ankommen wird, inwieweit die anderen Mitgliedstaaten diesen Weg mitgehen werden.
In der europäischen Sozialpolitik haben wir eine geteilte Kompetenz zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten. Die EU-Institutionen haben bereits ihre Bereitschaft signalisiert, sodass ich die klare Erwartungshaltung an Deutschland habe, von der Theorie zur Praxis überzugehen und den Aktionsplan gemeinsam mit der EU, den anderen Mitgliedstaaten sowie den Sozialpartnern konkret umzusetzen. Dafür müssen wir mit den Menschen auch über die Dimension der Europäischen Säule sozialer Rechte für deren Alltagsleben sprechen. Konkret bedeutet das nämlich, dass wir die Gehälter so anpassen wollen, dass man in Würde leben kann und dass Frauen und Männer den gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit erhalten. Dabei soll gewährleistet werden, dass wir die Menschen mitnehmen, sich an einen ständig verändernden Arbeitsmarkt anzupassen, wir unbezahlte Praktika beenden und eine Jugendgarantie einrichten, die Beschäftigungsmöglichkeiten schafft. Zusätzlich soll kostenfreie Gesundheitsversorgung für Kinder, kostenfreie Bildung sowie kostenfreie Kinderbetreuung garantiert werden, damit jedes Kind es packt, und zwar unabhängig von den Voraussetzungen, die es mitbringt. Entsprechend einer durch den Eurobarometer erhobenen Umfrage erwarten 91 % der befragten Deutschen konkrete Maßnahmen für ein Soziales Europa. Ein – wie ich finde – unmissverständlich klarer Auftrag an den Sozialgipfel in Porto!
Belastungsprobe durch die Corona-Pandemie
Durch die Corona-Pandemie wird die Europäische Integration auf eine besondere Belastungsprobe gestellt. Von Porto muss die zentrale Botschaft ausgehen, dass die EU um eine menschliche Dimension erweitert wird, nachdem viele hart von der Krise getroffen wurden, ihren Job verloren haben und ihre Zukunft dadurch weiterhin ungewiss ist. Gerade in Zeiten des Wandels und den großen wirtschaftlichen sowie technologischen Veränderungen dürfen die Menschen nicht vergessen werden. Wenn wir wollen, dass das Vertrauen der Menschen in das Projekt der Europäischen Integration wächst, dann müssen wir die soziale Konvergenz – also die Angleichung der Lebensbedingungen – stärken. Um aus dieser Krise rauskommen zu können, braucht Europa mehr wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit und einen gut funktionierenden Binnenmarkt. Aber wenn wir eines aus dieser Pandemie gelernt haben, dann, dass wirtschaftlicher Erfolg immer davon abhängig sein wird, dass wir auch sozial erfolgreich sind. Für den notwendigen Wiederaufbau haben wir mit dem EU-Aufbaufonds und dem mehrjährigen Finanzrahmen bereits die passende Grundlage geschaffen. Jetzt kommt es nur noch darauf an, dass wir durch die verbindliche Implementierung der Europäischen Säule sozialer Rechte auch die damit benötigten Investitionen, sozialen Reformen sowie Aufwärtskonvergenz ermöglichen, damit die Bürgerinnen und Bürger wieder neues Vertrauen in die EU schöpfen und den Mehrwert eines sozialen Europas für das eigene Leben erkennen.